Schalom | Salam

Achtzig Jahre plusminus ist es her, dass bewaffnete Männer jüdische Kinder, Frauen, Greise, Männer aus ihren Häusern in Mitteleuropa zerrten, zusammentrieben, in die Gasöfen schickten. Sechs Millionen, zum allergrößten Teil Jüdinnen und Juden, wurden im Holocaust ermordet.

Die Täter waren fanatisch getrieben vom rassistischen Leitmotiv des Nationalsozialismus, Juden seien zu töten, das Judentum sei zu vernichten, wo immer man es anträfe.

Ungefähr seit Beginn des dritten Jahrtausends ist es die Hamas, die die Vernichtung des Judentums auf ihre Fahnen schreibt. Auf jene Fahnen, die in diesen Tagen quer durch Europa demonstrativ als Flaggen der Befreiung geschwungen werden, als ginge es der Hamas um irgendeine Form von Befreiung. Hamas überfällt jüdische Kinder, Frauen, Greise, Männer in ihren Häusern, treibt sie vor ihre Maschinengewehre und entführt sie in den palästinensischen Untergrund.

Hamas ist fanatisch getrieben vom militanten Islamismus, Juden seien zu töten, das Judentum sei zu vernichten, wo immer man es anträfe. Wieder einmal. Und im Hintergrund stehen die vertrockneten alten Männer im Iran, die den Holocaust zum Staatsziel erhoben haben. Die Frauen erschlagen lassen, wenn sie ihr Kopftuch zu locker tragen.

Und auch Putin, eng mit seinem Drohnenlieferanten Iran verbunden, verzichtet in seinen Narrativen nicht auf antisemitische Motive. Und reibt sich die Hände, dass zurzeit nur wenig über seinen Überfall auf die Ukraine gesprochen wird.

Als Nichtjude, als Nichtjüdin ist es schwer zu begreifen, wie sich Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, der Vertreibung und Verfolgung tief ins Unbewusste eingraben. Todesangst als ständige Begleiterin. Selbst im relativ sicheren Ambiente aufgeklärter, säkularer Staaten eine Existenz als Sonderling, als irgendwie Andere:r zu führen, sobald man/frau nicht ins bis zur Unkenntlichkeit Verwaschene der Assimilation abtaucht. Wehrlos zum Bestandteil von Verschwörungsmythen zu werden, das „Weltjudentum“, die „Juden von der Ostküste“, als einer der Leute um Soros, die für Viktor Orbán alles Schlechte dieser Welt erklären … das spürst du tagtäglich, das ist das rassistische Unterfutter jüdischen Lebens.

Mit ein wenig Empathie ist der Wunsch nachvollziehbar, ein unbelastetes, angstfreies Leben in einem eigenen Land zu führen, eine Heimat zu finden, aus der man nicht vertrieben, in der man nicht exekutiert wird.

Wenn dann die Schlächter mit dem Bulldozer durch den Grenzzaum brechen, mit der MP im Arm die Ultralight-Flieger über den Stacheldraht kommen, wenn über Kinder, Frauen, Greise, Männer das schiere Grauen hereinbricht, das blutige Dahinmetzeln von Anders- und daher Ungläubigen, dann sind nicht nur die momentanen Schmerzen fürchterlich, dann brechen Verwundungen aus Jahrhunderten auf.

Palästinenser:innen – die Aufteilung des Nahen Ostens ab ca. Beginn des 19. Jahrhunderts lässt sich wohl kaum als gelungenes Beispiel gestaltender Diplomatie betrachten. Als dann 1947 der Staat Israel proklamiert wurde, galt es auch schon, den ersten Krieg zu bestehen. Dem etliche weitere folgten. Mittendrin die heiligen Stätten im geteilten Jerusalem, eine anspruchsvolle Herausforderung fürs Zusammenleben für die einen, eine permanente Provokation für andere. Wenigen Palästinenser:innen gelang es, sich in Israel oder aber in den Staaten zu integrieren, in die sie geflohen waren.

Viele von ihnen fanden in Lagern ihre erste Zuflucht, und für die meisten blieb es das auf Jahrzehnte. Der Nahe Osten bebte als Pufferzone zwischen West und Ost, das Erdöl befeuerte zusätzlich die Reibung der Interessen, und in den Flüchtlingslagern wuchsen zornige Männer heran, die sich für den Kampf um das wappneten, was sie für ihre Interessen hielten. Guerillakämpfer, Attentäter, Terroristen, Assassinen, viele Bezeichnungen behübschten ihre Ausbildung zu Todesbringern.

Aus aller Welt kamen junge Leute im Bewusstsein, die Speerspitze von gerechtem Widerstand zu sein, in die palästinensischen Lager, um sich dort ausbilden zu lassen im bewaffneten Kampf. Männer und Frauen aus der Roten Armee Fraktion, aus den Roten Brigaden Italiens, aus Nordirland, aus Lateinamerika, wer nennt die Völker, kennt die Namen, fanden sich ein und waren willkommen, unter anderem als Geldbringer, die den Ausbau der Flüchtlingslager zu Heimstätten des Terrorismus unterstützten.

In den Zeiten vor Gorbatschow bzw. dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ war die Terror-Internationale des antikapitalistischen Widerstands, personell nachhaltig unterstützt aus den palästinensischen Flüchtlingslagern, vor allem in Europa und im Nahen Osten aktiv. In jenen Zeiten gründet auch die Sympathie der Linken mit den vermeintlichen Freiheitskämpfer:inne:n aus den palästinensischen Lagern, man sah sich im prinzipiell gleichen Kampf, auch wenn die Wahl der Mittel umstritten war.

Mit der Umgestaltung Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, mit dem Zusammenbruch des Nahen Ostens, wie er nach dem zweiten Weltkrieg sich etabliert hatte, gipfelnd in den beiden Golfkriegen, dem Bürgerkrieg in Syrien und dem Zusammenbruch der „Schweiz des Nahen Ostens“, des Libanons, hatte sich die geopolitische Situation grundlegend gewandelt.

Auch Israel hatte neue „Freunde“ und „Feinde“ gewonnen. Erzfeind Ägypten und das Königreich Jordanien waren zu friedlichen Nachbarn geworden, feindselig blieben die von Teheran aufgerüsteten und gelenkten Kämpfer der Hisbollah im Libanon und das friedlose Syrien, das mit dem Russland Putins und seinem Söldnerführer Prigoschin eine unheilvolle Liaison begann.

2005 wurde der „Abkoppelungsplan“ Ariel Scharons umgesetzt, der auch in Israel umstritten war. Die Besatzer zogen sich aus allen 21 Siedlungen im Gaza-Gebiet zurück, im Westjordanland behielt Israel sechs Siedlungen und räumte drei. Die palästinensische Führung, vor allem die Fatah, bezeichnete den Plan als Schritt in die richtige Richtung, stimmte aber nicht endgültig zu, da man über die Rückgabe weiterer Gebiete verhandeln wollte. Und Shimon Perez warnte davor, dass Gaza an die Hamas fallen könnte, die damals schon als fundmental-islamistische Gruppe bekannt war.

Als Israel den Gaza-Streifen räumte, hinterließ man u.a. zahlreiche intakte Plantagen und Gewächshäuser, die bald nach dem Abzug der Israelis zerstört und nie wieder aufgebaut wurden. Im Streit um die Führung des Gebiets mit der Fatah obsiegte 2006 die Hamas mit der absoluten Mehrheit in der Parlamentswahl – der einzigen bisher stattgefunden Wahl. Wer die Hamas tatsächlich anführt und wie sie strukturiert ist, wird als Geheimnis gehütet. Kein Geheimnis ist der Charakter als islamistische Gruppe, ähnlich radikal wie der IS, ebenso rigoros erfolgt die Machtausübung auch gegenüber den eigenen Bürger:innen.

Bis 2014 kam es zu regelmäßigen, regional begrenzten Konflikten mit der israelischen Armee, Israel seinerseits antwortete mit Rationierung von Energie und Nahrungsmitteln. Die Blockaden erfolgten teilweise auch auf Ersuchen der Fatah bzw. der palästinensischen Autonomiebehörde, um Einfluss auf die Hamas zu nehmen.

Bei den Bombardements auf vermutete Hamas-Quartiere durch Israel kamen regelmäßig Zivilpersonen ums Leben, die Angeben über die Zahl der Opfer divergieren weit. Auch der Waffenstillstand von 2014 beendete nicht den Dauerbeschuss Israels mit Raketen aus dem Gaza-Gebiet, wobei bis zu 90 % von der israelischen Luftabwehr abgefangen wurden. Geldmittel aus aller Welt, die dem Aufbau der wirtschaftlichen Struktur in Gaza dienen sollten, wurden, wie berichtet wird, größtenteils in den Ausbau von Tunnelsystemen investiert, die das gesamte Gaza-Gebiet durchziehen.

Mit EU-Geldern konnte eine mit Solarstrom betriebene Meerwasser-Entsalzungsanlage errichtet werden, eine ähnliche Anlage wurde von Kuwait gebaut. Die Menschen in Gaza sind praktisch ausschließlich von Hilfslieferungen abhängig, über deren Verteilung die Hamas wacht.

Als UNO-Generalsekretär Guterres im UN-Sicherheitsrat bemerkte, der aktuelle Konflikt mit der Hamas in Gaza hätte eine Vorgeschichte, reagierte der israelische Vertreter erzürnt und forderte Guterres zum Rücktritt auf. Israel und praktisch alle Proponenten des offiziellen Israels reagieren derzeit mit nachvollziehbarer Empfindlichkeit und zugleich mit populistischer Polemik. So schwer es ist, die Grenze zu ziehen zwischen Antisemitismus hier und sachlicher Kritik an der Politik Israels da, so kontraproduktiv erscheinen Reaktionen, die jede Kritik als antisemitisch zurückweisen.

Freilich wünscht man sich als Kriegspartei den unbedingten Schulterschluss und weiß die Möglichkeiten, die sich durch nüchtern beobachtende Dritte ergeben könnten, kaum zu schätzen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich – eine klare Direktive in Zeiten, in denen das Freund-Feind-Denken dominiert.

Zugleich gilt es, solches bipolares Denken zu überwinden, und das wird nur möglich sein bei allparteilicher Würdigung der komplexen Wechselbeziehungen. Allparteilich, nicht unparteiisch.

Der Fragen gibt es viele. Etliche werden später zu klären sein. Etwa die Frage noch der Rolle, die die Politik Benjamin Netanjahus gespielt hat. Viel Militär wurde von der Gaza-Grenze abgezogen, um die Auseinandersetzungen rund um die expansiven Siedler im Westjordanland militärisch zu begleiten; eine Konzession an die ultrarechten Hardliner in der Regierung, in dieser Regierungskoalition, die Israel auf den Kurs zur illiberalen Demokratie bringen wollte, u.a. durch Beschneidung der Kompetenzen der Justiz. Anrüchig, wenn man zugleich weiß, dass Netanyahu nur durch seine Immunität einer strafrechtlichen Verfolgung entgeht – Korruption ist das Thema. Hunderttausende Israeli waren deshalb schon auf der Straße, große Teile der Armee protestierten offen gegen ihren Staatschef. Innenpolitische Instabilität, die von der Hamas möglicherweise als Einladung interpretiert wurde, sich die vermeintliche Schwäche zunutze zu machen?

Bedrückend bleibt die stete Frage, wie man mit Nachbarn zusammenlebt, die deine Vernichtung auf ihre Fahnen geschrieben haben. Um jeden Preis, auch um den der Selbstaufgabe. Islamistische Terroristen operieren oft als Selbstmordattentäter. Wie erwacht man sich eines suizidalen Angriffs? Zumal im Djihad die Ethik und die Gefühle des Gegners nicht nur nicht missachtet, sondern auch noch instrumentalisiert werden. Je grauenhafter das Schlachten inszeniert, je demonstrativer es öffentlich ritualisiert wird, desto effizienter: Horror als Waffe und als Verächtlichmachung, als Verhöhnung, als Schmähung des Feindes.

Die Frage aber auch nach der Opfer-Täter-Umkehr. Hamas und die Mullahs im Iran wollen Israel vernichten, Netanjahu spricht dieser Tage von der Vernichtung der Hamas als Kriegsziel. Die kriegsverbrecherische Attitüde der Hamas-Gotteskrieger ist offensichtlich. Die in Kauf genommenen Verluste der Zivilbevölkerung in Gaza durch israelische Angriffe auf militärische Ziele, die Abschnürung von lebenswichtigen Gütern werden nach Völkerrecht ebenfalls als Kriegsverbrechen gewertet. Auch die Hamas-Taktik, eigene Positionen militärisch untrennbar in ziviles Umfeld zu stellen, gilt als Kriegsverbrechen.

Zur politischen Wirkung spricht Barrack Obama Klartext: „Die Entscheidung der israelischen Regierung, eine eingeschlossene Zivilbevölkerung von Nahrungsmitteln, Wasser und Strom abzuschneiden, droht nicht nur eine wachsende humanitäre Krise zu verschlimmern, sondern könnte auch die palästinensische Haltung für Generationen verhärten, die weltweite Unterstützung für Israel unterlaufen, Israels Feinden in die Hände spielen und die langfristigen Bemühungen um Frieden und Stabilität in der Region untergraben.“ Netanjahu sieht das sicherlich anders.

Lösungen? Für mich: keine in Sicht. Und auch der Historiker und Journalist Tom Segev kann keine erkennen, im ORF-Interview. Mit Tränen in den Augen.


Posted

in

by

Tags: