Rot konzentrisch

Nützliche Idioten

Das Internet lädt auf vielen Wegen dazu ein, seine Empörung/Wut/Enttäuschung, seinen Frust/Zorn abzuladen. Sich im Austausch mit anscheinend Gleichgesinnten kein Blatt vor den Mund zu nehmen. In der meistens irrigen Annahme, man sei da anonym unterwegs. Oder im Verein mit denen, die man für Gleichgesinnte hält. Wir kennen solche Online-Begegnungsräume als Brutstätten der seltsamsten Verschwörungstheorien. Und Lenin, der den Begriff des “nützlichen Idioten” geprägt hat, würde sich den Bauch halten vor Lachen.

Oft ist die Rede vom “gläsernen Menschen”, der durch das Internet wie ein aufgeschlagenes Buch Angriffspunkte erkennen lässt, die sich für unbemerkte Manipulation eignen. Unsere zahlreichen Internetkontakte werden abgegrast, zu “Big Data” verknüpft, mit den ausgeklügelten Methoden des Data Mining durchleuchtet. Nachvollziehbar, dass der Handel mit umfangreichen Datenbeständen zum lukrativen Geschäft geworden ist.

Manchmal haben es die Datensammler besonders einfach. Dieser Tage erhielt ich ein E-Mail von einem Freund, in dem er den Protest eines seiner Freunde weiterleitete. Es ging Pläne der EU, unter dem Titel Verkehrssicherheit allerlei Regelungen rund um den Führerschein zu reformieren. Unter anderem wird daran gedacht, Menschen im höheren Alter in gewissen Abständen auf ihre Fahrtüchtigkeit zu überprüfen.

Nur informieren? Nein, in der weitergeleiteten E-Mail war neben einer Reihe von agitatorischen fake news und einer massiv emotionalisierenden Sprache auch die Aufforderung/Einladung enthalten, sich einer Petition gegen den “Führerschein-Irrsinn der EU” einzutragen. Damit der Ärger dort ankäme, wo er etwas bewirken könne.

Tatsächlich? Aus der Teilnahmeeinladung zur Petition geht in keiner Weise hervor, an wen und in welcher Weise der Protest gerichtet wird. Man wird jedoch eingeladen, der Zusendung von Mitteilungen über den Verlauf der Petition und über ähnliche Petitionen zuzustimmen.

Der Wunschtraum aller Datenfischer wird damit wahr. Fein aufbereitet bekommen die Urheber der Aktion extrem wertvolles Material frei Haus: die Verknüpfung von Namen, Kontaktdaten und emotional nutzbaren Triggerpunkten. Fein säuberlich aufbereitet. Die Teilnehmer an solchen Petitionen lassen die Agitatoren sozusagen freiwillig bei der Tür herein.

Im gegenständlichen Fall geht es um patriotpetition(.)org … bitte um Nachsicht für die Nichtverlinkung. Wenn man sich dort einklinkt, wird auf den ersten Blick ersichtlich, woher der Wind weht – vom stramm rechten Rand der Agitations- und Destabilisierungspropaganda, wie man sie seit Jahren kennt. Neugierig geworden? Dann empfehle ich, die Seite “Über uns” aufzurufen. Dort fehlt nichts aus dem Katalog faschistischer Demagogie, bis hin zur Forderung nach dem Recht auf Waffenbesitz.

Was allerdings fehlt, ist ein Impressum. Man wird völlig darüber im Unklaren gelassen, wer hinter der braunen Soße steckt. Wessen politische Ziele man durch die Teilnahme an der Petition tatsächlich stärkt. Und solange man nicht über den Schrebergartenzaun der eigenen Empörung hinausblickt, wird man auch kaum eine Vorstellung entwickeln, in wessen verborgene Strategie man da als “nützlicher Idiot” eingebunden wird.

Eine whois-Abfrage nach den Hintermännern oder -frauen der Website weist als Service Provider ein kalifornisches Unternehmen aus, über Domaininhaber und/oder Webspace-Admin gibt es keine offen zugängliche Auskunft. Nun gut, die russische Strategie, Trump auf den Thron zu verhelfen und zum wohl größten nützolichen Idioten der Geschichte zu machen, bediente sich der britischen Cambridge Analytica, die mit den angeblich illegal beschafften Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern operierte. Und, wie man liest, auch in die Stimmungsmache rund um den Brexit eingriff. False flag ist Online-Standard, Namen sind Schall und Rauch.

Der Rest ist Verschwörungstheorie. Im allerweitesten Sinn lassen sich Seiten wie die Patriotpetition als Mosaiksteinchen in weltweiten Destabilisierungsnetzwerken einstufen. Jewgenij Prigoschin, in jeglicher Hinsicht aus Putins Gnade gefallen, hatte, so munkelt man, in St. Petersburg eine “Trollfabrik” betrieben, in der hunderte Aktive daran arbeiteten, solche Netzwerke zu etablieren und damit die Stabilität westlicher Demokratien anzugreifen. Eine Strategie, die mit dem Ende Prigoschins nicht gestorben ist.

Phänomene wie die Cov-Pandemie, Druck durch den Kriegstreiber Putin und systemischer Gegendruck, innenpolitische Unfähigkeit, kaum überblickbare Krisenherde in aller Welt und nicht zuletzt die Zuspitzung von Klimakrise zur Klimakatastrophe verdichten sich zu einem komplexen Konglomerat, das Angst- und Unsicherheitsgefühle nährt. Seit jeher ein Morast, der den Ruf nach einfachen Lösungen und starker Führung aufkommen lässt. Der Rest war schon viel zu oft Geschichte.


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