Über Kurz oder Lang(bein)

Eine Dystopie

Auf einmal war er wieder da. Übermannshoch. Was heißt … haushoch, hochhaushoch an den prominentesten Plätzen Wiens. Er. ER.

Das Projekt „Ballhausplatz 2.0“ legte einen gelungenen Start hin. Die Geheimhaltung hatte perfekt funktioniert, niemand hatte damit gerechnet.
In den Wochen zuvor hatte es erste Anzeichen gegeben, die allerdings erst im Nachhinein als Anzeichen gedeutet wurden. Kurz, wie er bei den Salzburger Festspielen Hof hält? Why not? Schließlich ist Business sein Business. Kurz, in amikaler Runde mit den illiberalen Demokraten aus Ungarn, Serbien, Polen? Begrüßt von Freund Viktor als Repräsentant Österreichs? Meine Güte, schließlich sind wir alle Repräsentanten unseres Heimatlandes, wenn wir im Ausland weilen.

Das Umfeld passte wie ein skinny maßgeschneiderter Anzug. Es ging bergab mit Österreich, das Land war Spitze bei den Inflationsraten in der EU, der Vertrauensindex der schwarz-grünen Regierungskoalition dümpelte bei 18 %, in Kärnten war ein lupenreiner Faschist drauf und dran, sich zum Volkskanzler zu erheben.

Die Menschen hatten also erlebt, wie es ihrer Heimat erging, wenn Sebastian Kurz sich dem Land für eine Weile entzog, in der transatlantischen Ferne auftankte. Sein Wiedereintritt in die Lebenswirklichkeit der Alpenrepublik flutschte wie Schlag auf Sachertorte. Ein erster Gerichtstermin machte seine Anwesenheit dringend erforderlich; niemand konnte sagen, er hätte sich aufgedrängt. Gegenstand der Untersuchung? Eine Zeugenaussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Lachhaft.

Kurt Langbeins Film „Projekt Ballhausplatz“, der den Weg von Kurz an die Staatsspitze kritisch, manche sagen: vernichtend, nachzeichnete, war ein wenig lästig, konnte die Dramaturgie der Rückkehr womöglich anpatzen.

Glücklicherweise hatten aber die professionellen Kampagnenschmiede von „Kurz 2.0“ ihren eigenen Film schon in der Schublade. Es genügte, dass sie den Trailer lancieren und ihren Star an Wiener Hochhäusern affichieren konnten, um Langbein alt aussehen zu lassen. Er fitzelte an irgendeiner fernen Vergangenheit herum, lange vor Corona, Ibiza und überhaupt, „Kurz – der Film“ handelte hingegen von der Zukunft des Landes, von der Gloriole seiner Zukunftshoffnung.

„Erfolg bringt Gefolgschaft!“ durfte Elli konstatieren – nein, es war noch nicht aus. Ganz im Gegenteil. Musste Sebastian Kurz die ÖVP neuerlich umkrempeln, um sich an die Spitze zu setzen? Nein, noch einmal wollte er sich diesen Klotz nicht ans Bein binden. Wer wenn nicht er stand – seit jeher und in weiser Voraussicht – für die „Neue Volkspartei – Liste Kurz“? Heller, eigenständiger denn je strahlte sein Türkis, kalt wie die Augen des alten neuen Kanzlers.

Und sie kamen alle wieder, vom Bevölkerungsdrittel des VoKaKi in spe liefen gute 20 % zu Kurz über, die schwarze VP wurde binnen Jahresfrist einstellig, die Heerscharen der Nichtwähler hatten wieder ihren Fixstern am Stimmzettel. Wenn es überhaupt einer Koalition bedurfte, so war es für Nehammer normal, den Schulterschluss mit Kurz zu vollziehen. Der bunte Fleckerlteppich aus blau, pink, rot und grün blieb in sich zerstritten, verlässlich unbedeutend. Er – ER – war wieder da. Gekommen, um zu bleiben.

Die da im Hintergrund ins Comeback investiert hatten, rieben sich die Hände. Das „neue Mitteleuropa“, das Kurz kurz nach seinem Amtsantritt gemeinsam mit Ungarn, Polen, Italien und dem Balkan propagierte, dirigierte die Neuordnung Europas im Sinne sowohl des Zaren im Kreml als auch des illiberalen Kapitals in den USA. Sozusagen der historische Kompromiss des 21. Jahrhunderts. Und wenn sie nicht von der Klimakatastrophe hinweggefegt wurden, dann regieren sie noch heute.


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